Circular City: Urbane Reallabore und urbane Produktion

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Julian Mast

Circular City: Urbane Reallabore und urbane Produktion als Bausteine der Kreislaufstadt?

Der Jahresauftakt der #CEresearchNRW-Webseminare fand am 15.02.2024 statt und widmete sich der Frage, inwiefern das Konzept der urbanen Produktion als Transformationsbeschleuniger der Circular Economy in urbanen Räumen greift. Es referierten Kerstin Meyer vom Institut Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule und Johannes Scholz vom Fachbereich für Kreislaufwirtschaft und Recyclingtechnologie der Technischen Universität Berlin.

Kerstin Meyer stellte zunächst das theoretische Konzept der urbanen Produktion, dessen historische Entwicklung und Beispiele im deutschsprachigen Raum und insbesondere im Ruhrgebiet vor. Anschließend vertiefte Johannes Scholz das Konzept anhand des Hauses der Materialisierung in Berlin, das in Form eines urbanen Reallabors Praktiken der Circular Economy und deren Akzeptanz erprobt und dafür eine Vorreiterrolle in der Transformation(sforschung) einnimmt.

Urbane Produktion – Definition, Entwicklung, Potenziale und Herausforderungen

Zu Beginn ihres Vortrages zeigte Kerstin Meyer auf, dass in urbanen Räumen im globalen Norden große sozio-ökologische Herausforderungen zu bewältigen sind. Am Beispiel des Donought-Economy-Modells nach Kate Raworth mit Visualisierungen der University of Leeds zeigte sie, dass vor allem der Ressourcenkonsum und Ausstoß an Schadstoffen wesentlich über den nachhaltig verträglichen biophysikalischen Grenzen der Erde für den Menschen liegen.

Als Orientierungsrahmen für nachhaltige urbane Räume auf europäischer Ebene wurde 2020 die Leipzig-Charta überarbeitet und mit der Neuen Leipzig-Charta aktualisiert. Diese enthält Visionen und Ziele in den Dimensionen Gesellschaft („gerecht“), Ökologie („grün“) und Ökonomie („produktiv“). Eine Kernstrategie zur Erreichung von Nachhaltigkeit ist dabei die Schließung von Kreisläufen, folglich die urbane Kreislaufwirtschaft bzw. Circular Economy. Zur Erreichung inklusiver und resilienter Städte bedarf es Orte der Produktion, der Reparatur und des Handwerks, auch um problematische globale wieder in möglichst nachhaltigere regionale Produktionsketten zurückzuführen.

Dabei differenzierte Meyer zwischen urbaner Industrie, urbanen Manufakturen inkl. Handwerk und urbaner Landwirtschaft. Allerdings verläuft der aktuell in der Realität beobachtete Verlust von urbanen Handwerks- und Industriebetrieben in die genau entgegengesetzte Richtung. Unter anderem durch den politischen Fokus auf Wohnraumschaffung, sowie Flächendruck und finanzielle Spekulation stiegen die Bodenpreise in zentralen Lagen stark an, wodurch die Betriebe mit der Herausforderung stark steigender (Miet-)Kosten zu kämpfen haben. Produzierendes bzw. wiederaufbereitendes Gewerbe ist jedoch aufgrund von An- und Ablieferung von Produkten, Lagerung, der eigentlichen Produktion sowie dem Verkauf von Waren auf oft große Flächen angewiesen. Zusätzlich entsprächen die zur Verfügung stehenden Leerstände im urbanen Gebiet nicht den modernen Anforderungen wie bspw. Arbeits- und Brandschutzverordnungen. So gäbe es gemäß der Bundesstiftung Baukultur sechs massive Hemmfaktoren zur Nutzung von Bestandsbauten: Wärme-, Brand- und Schallschutz, Barrierefreiheit, Abstandsflächen und vorzuhaltende Stellplätze je nach Nutzung.

Trotz aller Hindernisse berichtete Meyer jedoch auch von Positivbeispielen der urbanen Produktion. Betriebe können und werden mancherorts beispielweise von Kommunen durch Mietsenkungen, Verfügungstellung von Flächen ehemaliger (Groß-)Betriebe oder ähnliche Anreizen gefördert. Auch zeigte sich, dass der Zusammenschluss verschiedener Betriebe und die Interaktion mit der Bevölkerung durch industrielle Symbiosen innerhalb dieser Systeme einen großen Mehrwert haben und so positiv zur Etablierung der Betriebe beitragen. Beispielhaft genannt werden kann an dieser Stelle das Teilen von Maschinen oder Ausstellungsräumen durch verschiedene Handwerksbetriebe, die Nutzung von Nebenprodukten wie Abwärme durch die Zivilgesellschaft oder das Schaffen von Sozialflächen für Mitarbeitende verschiedener Betriebe.

Laut Meyer sind vor allem solche Lösungen innovativ, die unmittelbare Lösungen für die ansässige Bevölkerung schaffen können, deren Wünsche adressieren und sich verträglich in die Nachbarschaft einfügen. Diese könne dann nach erfolgreicher Erprobung das Konzept verstetigen, verbreiten oder gar skalieren, bspw. in Form eines Fördervereins zur Erhaltung von urbanen Produktionsorten. Dennoch bedürfe es auch politischer Unterstützung oder Anpassung der rechtlichen Stellschrauben, die notwendige urbane Produktion im städtischen Raum wettbewerbsfähig zu machen.

Haus der Materialisierung Berlin

In seinem Vortrag zur realen Anwendung der urbanen Produktion stellte Johannes Scholz das Berliner Haus der Materialisierung (HdM) als Reallabor vor. Dieses bietet Handwerksbetrieben und Nachhaltigkeitsinitiativen einen Ort bzw. eine Plattform, um der Gesellschaft eine nachhaltige und ressourcenschonende Lebensweise zu ermöglichen. Im HdM können bspw. defekte Produkte repariert oder aufbereitet werden. Die TU Berlin begleitet das Projekt wissenschaftlich und prüft dessen langfristiges Ausrollen auf die Stadt Berlin, sowie eine mögliche Skalierbarkeit im Kontext anderer Metropolregionen wie bspw. dem Ruhrgebiet.

Wie Scholz betont, sind die auch im HdM verfolgten Kreislaufführungsstrategien sind historisch nicht neu. Vielmehr wurden solche Strategien bereits in früheren Zeiten von Ressourcenmangel angewendet. Auch im persönlichen Umfeld vieler Privatpersonen spielen Flohmärkte, Reparaturbetriebe oder die Weitergabe und Umnutzung von Produkten eine wesentliche Rolle im Alltag. Innovativ am HdM sei, dass dieses eine physische Plattform bietet, um – im Kontrast zu dominierenden Mustern von Konsum und Produktion – Privatpersonen das Verfolgen sämtlicher Strategien der Kreislaufführung auf engstem Raum zu ermöglichen. So biete das Haus einen Marktplatz für Sekundärrohstoffe, ein Gründerzentrum, offen nutzbare Werkstätten in zentraler Lage in Berlin. Die Organisation des HdM obliegt den 24 Mietparteien, die unter anderem mit öffentlichen Körperschaften wie dem Senat für Umwelt, Mobilität, Verbraucher und Klimaschutz der Stadt Berlin oder der deutschen Bundesstiftung Umwelt kooperieren.

Ziel des HdM ist es, den Bedarf an Primärmaterialien zu senken, indem Abfall vermieden, Produktlebensdauern durch Reparatur u.Ä. verlängert, Neukäufe unnötig gemacht und Rohstoffe wiederverwendet werden. Dadurch solle auch die Umweltwirkung reduziert werden. Diese wird für ausgewählte Produkte anhand der Wirkungskategorie „Klimawandel“ mit dem zugehörigen Indikator CO2-Äquivalente bemessen. Erste Berechnungen zeigen hier größere Einsparpotenziale, insbesondere in den Stoffgruppen Kunststoffe und Textilien.

Neben den direkt messbaren Einsparpotenzialen sei es aber ebenso wichtig, durch Umweltbildung von Bürger:innen, Unternehmen, Verwaltung und Politik eine Veränderung von deren Verhaltensweisen zu erzielen. Das HdM diene laut Scholz entsprechend auch als Bildungsort in Berlin, um durch Besuche und Workshops auf nachhaltiges Leben und Lebensweisen in der Bevölkerung aufmerksam zu machen. Durch eine hohe Skalierung der Besucherbildung seien die indirekten Effekte durch Bildung ein Vielfaches der direkten Effekte durch Reparatur und Materialeinsparungen innerhalb des HdM.

Vielen Dank für Ihre Teilnahme an unserem Web-Seminar! Wir freuen uns, Sie auch bei unseren künftigen Ausgaben des #CEresearchNRW-Webseminars begrüßen zu dürfen.

Bis dahin, Ihr Prosperkolleg-Team