Friederike von Unruh

von Friederike von Unruh

Digitalisierung und Circular Economy – Wo stehen Unternehmen in NRW?

Die Digitalisierung ist ein Megatrend unserer Zeit. Sie „wird verstanden als zunehmende Vernetzung und Algorithmisierung von Prozessen, Produkten und Geschäftsmodellen.“ (Winkler et al. 2023) Aus wirtschaftlicher Sicht bringt die Digitalisierung viel Potenzial mit sich: Mittelständische Unternehmen sehen die Chance, Prozesse und Abläufe im Unternehmen zu verschlanken und somit effizienter zu arbeiten, Kosten zu sparen und wettbewerbsfähig zu bleiben (vgl. Brockhaus et al. 2020). Neben der Digitalisierung rückt auch das Thema nachhaltiges Wirtschaften weiter in den Fokus von Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Die Circular Economy ist ein Konzept des nachhaltigen Wirtschaftens, welches von der Europäischen Union stark promotet wird, damit Unternehmen in geschlossenen Kreisläufen denken und handeln. Häufig werden die Themen Digitalisierung und Circular Economy in Unternehmen noch getrennt voneinander betrachtet, dabei können digitale Technologien und die hiermit erhobenen Daten auf unterschiedliche Weise Unternehmen dabei unterstützen, zirkulärer zu wirtschaften. In der öffentlichen Diskussion ist die Verknüpfung von Nachhaltigkeit und Digitalisierung längst angekommen. Die Forderung nach einer sogenannten Twin Transition oder auch doppelter Transformation (vgl. Quaing 2023) wird lauter. Im Folgenden wird aufgezeigt, wie digitale Technologien nachhaltiges und zirkuläres Wirtschaften ermöglichen und darauf eingegangen, wo kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in NRW stehen.

Digitale Technologien als Befähiger der Circular Economy

Unterschiedliche digitale Technologien, wie etwa Internet of Things, Big Data, künstliche Intelligenz oder die Blockchain-Technologie, werden als ein Enabler für eine nachhaltige und zirkuläre Wirtschaft gesehen (vgl. Rusch et al. 2023). Daten können auf Produkt-, Prozess-, oder Geschäftsmodellebene unterstützen, Kreisläufe zu verlangsamen, zu verengen oder sogar zu schließen: Auf Produktebene können bereits in der Designphase Nutzungsdaten verwendet werden, um Produkte langlebiger zu gestalten (vgl. Antikainen et al. 2018), indem sie besser an die Bedürfnisse der Nutzenden angepasst und erkannte Schwachstellen behoben werden. Eine Virtualisierung des Produktes ermöglicht zudem das Design eines modularen und reparierbaren Produkts. Die Digitalisierung hilft zudem Kosten einzusparen und die Ressourceneffizienz zu steigern (vgl. Antikainen et al. 2018).

Eine Studie von Bressanelli et al. (2018) weist auf eine weitere Funktion digitaler Technologien hin, die den Übergang zu einer Circular Economy ermöglichen: In der Nutzungsphase kann mittels Sensor- und Kommunikationstechnologien eine vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance) eingerichtet werden, damit Verschleiß rechtzeitig behoben und die Lebensdauer von Produkten oder Anlagen verlängert werden kann. Für die Reparatur von Produkten kann die additive Fertigung eine wichtige Rolle spielen: Mit dem 3D-Druck-Verfahren lassen sich Ersatzteile passgenau drucken, ohne, dass man sie lange Zeit einlagern oder in Masse produzieren muss. Digitale Technologien sind zudem am Ende der Produktnutzung relevant. Zum einen können sie die Sammlung von Produkten durch Daten zum Standort und dem Zustand des Produkts erleichtern, zum anderen sind sie von großer Bedeutung im Recycling. Dort hilft zum Beispiel die künstliche Intelligenz mittels Sensoren und Kameras bei der Sortierung von verschiedenen Abfallarten, um diese bestmöglich zu recyceln und im besten Fall wiederzuverwenden (vgl. Jost und Abou Baker 2022).

Für den Übergang zu einer Circular Economy werden generell verbesserte Informationen zu Produkten und Materialflüssen benötigt, um mehr recycelte Materialien in der Produktion zu verwenden. Informationen über die Menge und vor allem die Qualität der Produkte sowie die darin enthaltenen Rohstoffe müssen gesammelt und gespeichert werden (vgl. Wilts 2017). Dies soll im Rahmen der neuen Ökodesign-Richtlinie zukünftig im digitalen Produktpass umgesetzt werden.

Auf der Prozessebene ermöglichen smarte Technologien den Energieverbrauch von Fabriken deutlich zu senken oder Logistikrouten und die Kapazitätsauslastung effizienter zu gestalten (vgl. Kagermann 2015). Hierdurch können Kosten eingespart werden. Des Weiteren können die digitalen Technologien neue und zirkuläre Geschäftsmodelle befähigen, also die Art und Weise, wie Unternehmen Gewinne erzielen. Unternehmen können nicht mehr nur ihre Produkte verkaufen, sie können sie auch vermieten, leasen oder pro Nutzungseinheit abrechnen. Man spricht auch von Produkt-Service-Systemen (vgl. Tukker 2004), die auf unterschiedliche Art ausgestaltet werden können. Dadurch, dass Eigentumsrechte am Produkt nicht auf die Kund:innen übertragen werden, gestalten Unternehmen langlebigere und reparierbare Produkte, die sie weiteren Kund:innen zur Verfügung stellen können. Zudem bieten digitale Marktplätze neue Möglichkeiten für Sekundärmaterialien und -produkte.

Jedoch sollten neben all den Chancen, die die Digitalisierung mit sich bringt, auch die negativen Aspekte dieser Thematik angesprochen werden, wie etwa Datensicherheit, ein erhöhter Stromverbrauch oder die Primärrohstoffentnahme für die Hardware. Die Digitalisierung, die eine Circular Economy ermöglicht, sollte auf eine sozial gerechte und ökologische Art und Weise geschehen, indem diese Punkte mitgedacht werden.

Studienergebnisse zur Praxis in NRW

Aber wie sieht nun eigentlich die Lage in der Praxis aus? Das Prosperkolleg hat gemeinsam mit der innowise GmbH eine qualitative Studie zum Thema „Digitalisierung als Enabler von Circular Economy in NRW“ durchgeführt und acht KMU aus NRW zum Grad der Digitalisierung sowie der Circular Economy befragt. Zu den teilnehmenden Unternehmen gehören ein Trockenseifenhersteller, ein Metallschlauchhersteller, ein Anbieter von Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge und E-Schiffe, ein Tierfutterhersteller, ein Papierverpackungshersteller, ein Produzent von Rohren aus Kunststoff- und Verbundmaterialien, ein Produzent von Oleochemikalien und ein Schraubenhersteller. Die Studie zeigt, dass in drei der teilnehmenden Unternehmen die zentralen Geschäftsbereiche digitalisiert sind, die übrigen fünf Unternehmen lassen sich als überwiegend digitalisiert bzw. teildigitalisiert beschreiben. Die teilnehmenden Unternehmen verfolgen keine systematische, unternehmenseigene Digitalisierungsstrategie, sondern entwickeln Maßnahmen eher im Zuge von Neuanschaffungen, Ersatzinvestitionen oder spezifischen (Kunden-)Anforderungen. Häufig ist die Situation in den Unternehmen gekennzeichnet durch fehlenden Handlungsdruck, zu digitalisieren. Auch besteht in den Unternehmen nur ein schwach ausgeprägtes Bewusstsein für die Chancen und Risiken der Digitalisierung. Hinzu kommt, dass meist Ziele, Strategien oder Kennzahlen im Bereich der Digitalisierung fehlen. Zuständigkeiten sind häufig ungeklärt und es liegen kaum standardisierte Vorgehensweisen hinsichtlich der innerbetrieblichen Digitalisierung vor. Es fehlt an Zusammenstellungen von überbetrieblichen Unterstützungsangeboten sowie Best-Practice-Beispielen, die inspirieren und Vorbild sind.

Befragt zu Aspekten der Circular Economy, berichten alle teilnehmenden Unternehmen über ihre Verantwortung gegenüber der Umwelt. Die Unternehmen bemühen sich, zirkuläre Maßnahmen bzw. Nachhaltigkeitsmaßnahmen umzusetzen. Treiber hierfür sind neben dem Umwelt- und Verantwortungsbewusstsein Kundenwünsche, rechtliche Vorgaben, Effizienzsteigerungen und das Marketing.

Allen teilnehmenden Unternehmen sind Digitalisierung und Circular Economy ein Begriff. Jedoch ist ein einheitliches Verständnis der Konzepte nicht zu erkennen. Dass die Digitalisierung ein Enabler von Circular Economy sein kann, wird von den Unternehmen nicht aktiv genannt. Vielmehr wird von zirkulären Maßnahmen berichtet, ohne einen Bezug zur Digitalisierung herzustellen. Bei Vorschlägen zu konkreten Maßnahmen finden sieben der acht Unternehmen den digitalen Produktpass interessant und möchten dessen Potenziale prüfen. Zwei der Unternehmen sehen sich jedoch an dieser Stelle nicht als Treiber der Entwicklung. Vier der Befragten finden digitale Assistenzsysteme spannend: Virtual bzw. Augmented Reality könnte im Produktionsprozess, im Verkauf oder im Lager zum Einsatz kommen sowie zur Erhöhung der Prozesseffizienz beitragen. Als Erfolgsfaktoren für die Umsetzung einer digitalen Circular Economy sehen die Unternehmen überbetrieblich gebündelte Informationen zu Umsetzungsmöglichkeiten, Beispiele guter Praxis, den Erfahrungsaustausch und Unterstützungs- und Fördermöglichkeiten.

Die Digitalisierung kann als großer Enabler von Circular-Economy-Strategien und Geschäftsmodellen gesehen werden. Unterschiedliche digitale Technoligen wie etwa Internet of Things, Big Data, künstliche Intelligenz oder die Blockchain-Technologie helfen Material- und Informationsflüsse transparent darzustellen und somit nachhaltig zu handeln. Die vom Prosperkolleg mit der innowise GmbH durchgeführte Studie zeigt aber auch, dass die beiden Themen Digitalisierung und Circular Economy in der Praxis noch zu wenig zusammen gedacht werden und insbesondere KMU bei der Umsetzung der Twin Transition Unterstützung benötigen.

Literaturverzeichnis

Antikainen, Maria; Uusitalo, Teuvo; Kivikytö-Reponen, Päivi (2018): Digitalisation as an Enabler of Circular Economy. In: Procedia CIRP 73, S. 45–49. DOI: 10.1016/j.procir.2018.04.027.

Bressanelli, Gianmarco; Adrodegari, Federico; Perona, Marco; Saccani, Nicola (2018): Exploring How Usage-Focused Business Models Enable Circular Economy through Digital Technologies. In: Sustainability 10 (3), S. 639. DOI: 10.3390/su10030639.

Brockhaus, Carsten Philipp; Bischoff, Thore Sören; Haverkamp, Katarzyna; Proeger, Till; Thonipara, Anita (2020): Digitalisierung von kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland – ein Forschungsüberblick. Unter Mitarbeit von ifh Göttingen.

Jost, Tom; Abou Baker, Nermeen (2022): Künstliche Intelligenz ermöglicht automatisiertes Smartphone-Recycling (2022/05). Online verfügbar unter https://prosperkolleg.ruhr/publikationen/, zuletzt geprüft am 31.07.2023.

Kagermann, Henning (2015): Change Through Digitization—Value Creation in the Age of Industry 4.0. In: Horst Albach, Heribert Meffert, Andreas Pinkwart und Ralf Reichwald (Hg.): Management of Permanent Change. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 23–45.

Quaing, Jan (2023): DBU nachhaltig.digital Monitor 2022. Twin Transition im Blick. Hg. v. DBU nachhalitg.digital. Osnabrück. Online verfügbar unter www.nachhaltig.digital/monitor, zuletzt geprüft am 26.07.2023.

Rusch, Magdalena; Schöggl, Josef‐Peter; Baumgartner, Rupert J. (2023): Application of digital technologies for sustainable product management in a circular economy: A review. In: Bus. Strat. Env. 32 (3), S. 1159–1174. DOI: 10.1002/bse.3099.

Tukker, Arnold (2004): Eight types of product–service system: eight ways to sustainability? Experiences from SusProNet. In: Bus. Strat. Env. 13 (4), S. 246–260. DOI: 10.1002/bse.414.

Wilts, Henning (2017): The Digital Circular Economy: Can the Digital Transformation Pave the Way for Resource-Efficient Materials Cycles? In: IJESNR 7 (5). DOI: 10.19080/IJESNR.2017.07.555725.

Winkler, Stefan; Günther, Jochen; Pfennig, Roland (2023): Nachhaltige Digitalisierung oder Nachhaltigkeit durch Digitalisierung? In: HMD. DOI: 10.1365/s40702-023-00987-9.