Tom Jost im Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Uwe Handmann und Prof. Dr. Wolfgang Irrek, Hochschule Ruhr West
Wolfgang Irrek: Die Hauptaufgabe ist, aufzuzeigen, wie die Transformation zur zirkulären Wertschöpfung oder Circular Economy tatsächlich erfolgreich gestaltet werden kann.
Uwe Handmann: Das bedeutet, Unternehmen oder die anwendungsorientierten Domänen zu ertüchtigen, ihre Geschäftsmodelle neu zu denken, neue Tools und Methoden ebenso wie neue Erkenntnisse einzusetzen – und interdisziplinär zu nutzen, um schließlich Wirtschaft und Gesellschaft dauerhaft resilient zu machen gegen die Herausforderungen, vor denen ein Industriestandort steht.
Wolfgang Irrek: Man hat sie schon früher praktiziert – in der Steinzeit oder auch noch im 19. Jahrhundert – und wenig weggeworfen; man hat im Grunde versucht, die Dinge umfassend zu nutzen. In Notzeiten schauen wir jedenfalls verstärkt darauf, was man wie nutzen, länger nutzen, weiter nutzen kann. Oder was sich reparieren lässt, anstatt es wegzuwerfen. Aber es ist auch die Art und Weise, wie das Wirtschaftsleben läuft oder früher lief, welche wirtschaftliche Möglichkeiten man jeweils sah. Heute ist es oft preiswerter, Dinge wegzuschmeißen und neu zu produzieren. Deswegen sind wir zu einer Art Wegwerfgesellschaft geworden.
Wolfgang Irrek: Mit einem „Action-Research“-Ansatz schauen wir sehr praxisorientiert, wie die Situation im Unternehmen ist. Dann entwickeln und erproben wir Konzepte, um Unternehmen zu unterstützen, sich in Richtung zirkulärer Wertschöpfung zu transformieren. Konkret versuchen wir zu sensibilisieren und auf Chancen aufmerksam zu machen. Viele Unternehmen wissen nicht, wo sie ansetzen sollen. Sie haben von Circular Economy gehört, haben vielleicht Probleme mit Verfügbarkeiten von Rohstoffen oder Preisschwankungen – und wollen davon unabhängiger werden. Es geht im Prosperkolleg auch um die Qualifizierung von Beraterinnen und Beratern, zudem um wissenschaftlichen Austausch und um ganz konkrete technische Lösungsansätze.
Wolfgang Irrek: Einen Lösungsansatz hat unser Circular Digital Economy Lab (CDEL) entwickelt. Es geht dabei um die Frage, wie man den Wert von Materialien im Kreislauf besser erhalten kann. Damit es nicht – zum Beispiel bei Metallen – zu einem Downcycling kommt, weil beispielsweise Elektrogeräte geschreddert werden und sich die verschiedenen Metalle vermischen. Wenn man vorher die Komponenten einzeln zerlegt, lassen sich größere Werte erhalten.
Uwe Handmann: Konkrete Ansatzpunkte sind zunächst, dass wir anhand von Beispielen Wissen vermitteln und mit unserer Fachexpertise in die Unternehmen gehen und dann die Kompetenzen im Unternehmen aktivieren. Jedes Unternehmen hat eigene Spezialisten, denen kann ich nichts erzählen. Aber ich kann ihnen mit positiven Beispielen zeigen, wie andere Unternehmen das Thema Circular Economy angehen, um deren eigene Kreativität zu aktivieren und dann diesen Prozess begleiten.
Wolfgang Irrek: Das Kreislaufwirtschaftsgesetz sagt, dass man als erstes versuchen soll, Abfall zu vermeiden. In der Praxis geht es aber immer nur um den Abfall und um das Recycling. Da wird erst angefangen zu denken, wenn der Abfall entstanden ist. Man muss aber schon bei der Produktentwicklung an das Ende denken, eigentlich sogar noch früher: Was brauchen die Menschen, die Unternehmen, die Kundengruppen? Braucht man dafür überhaupt ein Produkt – oder reicht eine Dienstleistung? Wenn es ein Gut sein soll – muss man es besitzen oder kann man es sharen? Und man sollte direkt eine Idee davon haben, wie man das Material wieder in den Kreis führen kann.
Uwe Handmann: Erstmal ist die Kreislaufwirtschaft, wie sie in Deutschland implementiert ist, offensichtlich weltweit Vorbild, denn in ganz vielen Ländern wird noch gar nicht getrennt, wenn überhaupt gesammelt wird. Aber das ist nicht die Lösung, wenn man die Circular Economy ernst nimmt, denn zirkuläre Wertschöpfung setzt ja schon viel früher an. Man muss beispielsweise überlegen, Produkte so zu designen, dass sie an ihrem Lebensende einer weiteren Verwertung zugeführt werden können. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Ansatz eines Bauherrn aus einem der Benelux-Staaten, der ein neues Parkhaus baute und sich Gedanken über die innerstädtische Mobilität machte: Wie lange brauchen wir noch Parkhäuser? Was kann aus dem Parkhaus werden, wenn es nicht mehr als Parkhaus genutzt wird? Wie sparen wir Ressourcen? Das Parkhaus wurde am Ende so gebaut, dass daraus später ein Appartementhaus werden kann. Ähnliche Beispiele gibt es in ganz vielen anderen Bereichen.
Wolfgang Irrek: Eine Hauptmotivation ist der Klimaschutz, weil die Produktion mit Sekundärmaterialien einfach viel weniger Energie braucht und Treibhausgase verursacht, ebenso, wenn man die Produkte länger nutzt. Klimaschutz betreiben wir letztlich aus Gründen der Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd, heutigen und zukünftigen Generationen. Das zweite Thema ist die Risikominimierung für die Unternehmen, also eine geringere Abhängigkeit von Lieferanten oder Preisschwankungen. Drittens kann man die inländische Wertschöpfung durch neue Geschäftsideen oder Dienstleistungen stärken.
Uwe Handmann: Ich möchte in einer Welt leben, in der man unabhängig vom Ort die gleichen Möglichkeiten und Zugänge hat. In der westlichen Welt sind Chancen sehr eng mit Ressourcenverbrauch verknüpft, und dieses Recht müssen auch Menschen in anderen Ländern, wie beispielsweise Schwellen- und Entwicklungsländern haben. So viele Welten haben wir nicht. Wir müssen also alles tun, damit die Chancenentwicklung von den Rohstoffen entkoppelt wird. Das kann nur über eine Circular Economy geschehen. Wir haben Unordnung in die Welt gebracht, das muss uns klar sein, und deshalb müssen wir einen Beitrag leisten, die Unordnung in den Griff zu bekommen.
Uwe Handmann: Wenn ich Bilder aus den siebziger Jahren sehe, würde ich sagen, dass viel passiert ist. Einzelne Unternehmen, die auch mit uns kooperieren, sind weltweit spitze. Es gibt Bereiche, die toll funktionieren und solche, wo wir von anderen Regionen lernen können. Was ich in NRW als besonders gut empfinde, ist, dass wir hier einen Melting Pot unterschiedlicher Kulturen und Ansichten, Bildungsniveaus, Industrien und Wertschöpfungsketten haben. Die Rhein-Ruhr-Region hat großes Potenzial, das wird oft unterschätzt. Ansatzweise wird dieses Potential genutzt, aber wir machen uns manchmal schlechter als wir sind. Es gibt hier viele kluge Köpfe, die vielleicht noch nicht ihr volles Potenzial abrufen. Wenn uns das gelingt, ist die Region nicht mehr einzuholen.
Wolfgang Irrek: Wo wir stehen, versuchen wir gerade durch eine Unternehmensbefragung herauszubekommen. Was wir aber bei einzelnen größeren Unternehmen beobachten können: Sie sind teilweise schon vorangegangen, haben eigene Abteilungen und Zuständige, haben Ziele und Visionen formuliert und Aktivitäten auf den Weg gebracht. Ein Vorreiter für Zulieferunternehmen ist ZinQ in Gelsenkirchen, die eine „Transform-to-zero“-Initiative mit der Bleistahl Group und weiteren mittelständischen Unternehmen ins Leben gerufen haben. Verzinkter Stahl ist im Recyclingprozess eigentlich minderwertiger Stahl. Wird das Zink wieder gelöst, bekommt man das Material zurück und gleichzeitig ist der Stahl mehr wert. Es gibt auch kleinere Unternehmen, die schon unterwegs in Richtung Circular Economy sind, aber auch viele, die nicht konkret wissen, wo sie ansetzen sollen und deshalb Unterstützung brauchen.
Uwe Handmann: Die Forschung rund um die Transformation von Produktion und Nutzung wird auf jeden Fall weitergeführt werden. Natürlich ist auch die Marke „Prosperkolleg“ inzwischen als ein Qualitätslabel etabliert, so dass es definitiv auch eine Weiterführung unserer Aktivitäten geben wird. Konkretes kann man allerdings derzeit nicht sagen, weil erst die Förderzusagen auf dem Tisch liegen müssen. Wir arbeiten jedenfalls daran, dass die erfolgreiche Arbeit des Prosperkollegs noch sehr lange weitergeführt wird.
Wolfgang Irrek: Bisher haben wir hauptsächlich produzierende Unternehmen unterstützt. Handwerk, Handel und Konsumentinnen und Konsumenten hatten wir bisher nicht so wirklich im Blick. Es gibt also weitere Zielgruppen und Bedarfe – und damit Potenzial für weitere Forschung. Wir an der Hochschule Ruhr West haben vor allem Kompetenzen zum Thema Digitalisierung und KI, wir haben große Kompetenzen im Bereich Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und in der Weise, wie die Wirtschaft mitgenommen werden kann. Wenn man so will: der Transformationsprozess selbst ist Forschungsgegenstand.
Uwe Handmann: Das unterscheidet uns auch positiv von den großen Universitäten in NRW: Spezialisten gibt es viele, aber Spezialisten, die an einem Standort miteinander reden und kollegial an einem Thema zielorientiert arbeiten, das ist doch besonders.