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Julian Mast

Digitalisierung und zirkuläre Produktentwicklung – Digitalisierung als Schlüsselressource für Circular Design?

Nachdem das virtuelle Forschungsnetzwerk #CEresearchNRW im August seine neue Seminarreihe „Digital ready, circular ready?“ zur Rolle der Digitalisierung im Transformationsprozess starten konnte, stand der Septembertermin am 14.09.2023 im Zeichen des zirkulären Produktdesigns bzw. Produktlebenszyklus und des möglicherweise richtungsweisenden Einflusses durch digitale Technologien. Im ersten Vortrag zeigte Michael Leitl von der Indeed Innovation GmbH den Vorteil für Unternehmen auf, die bereits in frühen Phasen des Innovationsprozesses künstliche Intelligenz (KI) einbinden. Im zweiten Vortrag zeigten Antonia Pohlmann und Dr. Josef-Peter Schöggl, dass digitale Tools wie digitale Produktpässe in der transparenten Entscheidungsfindung und Dokumentation großes Potenzial für zirkuläre Innovationen aufweisen.

Künstliche Intelligenz als Beschleuniger des Innovationsprozesses

Als Impuls des Vortrags verdeutlichte Leitl die hohe Komplexität der unternehmerischen Geschäftsmodelle und Tätigkeiten am Beispiel pharmakologisch interessanter Moleküle. Diese seien enorm vielzählig, aus Zeitdruck könne jedoch nur ein minimaler Ausschnitt daraus näher betrachtet werden. Zusätzlich sinke die Forschungsproduktivität zunehmend. Die zum Ausgleich vorgenommene Steigerung des Anteils an Forschern (zum Erhalt des Forschungsertrags) sorge hingegen zu steigenden Forschungskosten.

Die KI böte an dieser Stelle die Möglichkeit, sehr viele Varianten in kurzer Zeit zu testen und deren erste Potenziale schnell und kostenarm aufzuzeigen. KI sei als eigenständiges und stetig lernendes System zu verstehen, das sich wiederum in verschiedene Unterarten wie Machine Learning oder Deep Learning unterteile. Für Leitl bietet KI aktuell vor allem in klar abgesteckten und definierten Bereichen effektive Lösungen, was als Artificial Narrow Intelligence bezeichnet wird.

Ansatzpunkte der KI zur Beschleunigung erläuterte Leitl anhand eines idealtypischen Innovationsprozesses. Dieser sei ein stetig iterativ ablaufender Prozess mit den folgenden Kernphasen: (1) Zunächst ist es vonnöten, die bestehende Forschung in einem Bereich zu verstehen und (2) daraus erste Ideen zu entwickeln, wie diese Forschung angewendet werden kann, um einen Kundennutzen zu erzeugen. Anschließend sollen (3) Prototypen entworfen und (4) getestet werden, um deren Funktionalität, Stärken und Schwächen zu prüfen. Im Falle eines guten Abschneidens würden (5) Endprodukte designed und (6) zur Produktion weitergereicht werden. KI kann dazu beitragen, dass Arbeitsschritte in den frühen Phasen des Innovationsprozesses (1 & 2) eingespart oder kombiniert werden können. Außerdem ermöglicht die KI die Analyse großer Datenmengen anstelle von Stichproben. So erhalten Designer bei Vorhandensein ausreichender Daten mehr Evidenz über Probleme und die Güte von Lösungsansätzen.

Bei allem Nutzen, den die KI mit sich bringe, betonte Leitl aber auch, dass die KI eher als Inspirationsmittel zu sehen sei, das nicht die Erfahrung von Ingenieur:innen oder Designer:innen ersetze, sondern dessen methodischen Baukasten erweitere. Die KI gewähre also einen schnellen Überblick über Problemstellungen und Annäherungen von Lösungen, jedoch bleibe weiterhin der Mensch Hauptverantwortlicher und Löser der Probleme, wie bspw. dem Enddesign von Produkten oder dem Orchestrieren aller Akteure eines Wertschöpfungsnetzwerks. In diesem Sinnen sei KI auch ein wertvolles Instrument für das zirkuläre Produktdesign, was auch die Diskussion bestätigte. So biete
die KI außerdem auch die Möglichkeit, den Erfolg neuer Geschäftsmodelle durch Simulationen bereits vorab zu testen.

Digitalisierung in der Automobilindustrie – theoretische Einblicke und praktische Beispiele

Schöggl skizzierte zu Beginn die Entwicklung der Nachhaltigkeitsforschung am Christian Doppler Labor für nachhaltiges Produktmanagement in einer Kreislaufwirtschaft. Bezog diese sich ursprünglich eher ausgewählte Problemstellungen, wird diese zunehmend holistischer und erfordert eine systemische Betrachtungsperspektive. Entsprechend müssen wünschenswerte Produkteigenschaften wie Nachhaltigkeit und Zirkularität bereits von Anfang an in das Produktdesign integriert werden. Es erfordere entsprechend auch eine Bewertung und geeignete Ansätze zur Produktentwicklung, um dessen nachhaltiges Design weiterzuentwickeln. Die Wichtigkeit der möglichst frühen Integration erläuterte Schöggl anhand des Design Paradoxons, nach dem die Gestaltungsmöglichkeiten mit fortlaufender Zeit schnell abnehmen, während die eigene Produktkenntnis, aber auch die Änderungskosten mit fortlaufender Zeit stark ansteigen.

Entscheidend für eine zufriedenstellende Entscheidungsfindung im Entwicklungsprozess ist laut Schöggl daher die Sammlung, Nutzung und Bewertung einer Vielzahl verschiedener Daten über den Entwicklungsprozess hinweg. Diese behandeln bspw. Themenkomplexe wie Unternehmensstrategie, Rohstoffwahl, Verarbeitungsprozesse, Kundenzufriedenheit etc. und identifizieren bestehende Problemfelder der jeweiligen Entwicklung, welche durch einen erhöhten Scorewert angezeigt werden. Die so identifizierten Problemfelder können anschließend optimiert werden. In der Optimierung der jeweiligen Ideen muss jedoch oftmals ein Trade-Off zwischen technischer Optimierung, Umweltfaktoren oder betriebswirtschaftlicher Kenngrößen getroffen werden. Hierfür gibt es laut Schöggl Bewertungstools wie Life Cycle Assessment, Life Cycle Energy Optimization oder vergleichbare holistische Bewertungsansätze.

Pohlmann betonte die Wichtigkeit der Datentransparenz im Entwicklungs- und Entscheidungsprozess von Akteuren, insbesondere entlang der Wertschöpfungskette. Im Rahmen des Forschungsprojekts CE-PASS befasst sie sich mit der Verbesserung der Transparenz & Vernetzung der Unternehmen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Laut Pohlmann sei es von großer Wichtigkeit, unternehmensinterne Entscheidungen über den weiteren Produktumgang optimieren zu können. Der digitale Produktpass stelle eine Möglichkeit dar, Produktinformationen digital von Herstellern an nachgelagerte Wertschöpfungsstufen zu übermitteln, bspw. die Inhaltstoffe, Rohstoffherkunft und den ökologischen Fußabdruck des Produkts.

Der digitale Produktpass kann dabei Informationen verschiedener Entscheidungsdimensionen wie bspw. ökologische oder soziale Aspekte weitergeben. Dies betrifft bspw. im Bereich der E-Mobilität die Ressourcen- bzw. Energieherkunft oder mit dem Betrieb verbundene (direkte) Emissionen im Vergleich zu Verbrennungsmotoren. Ein großes Problem sieht Pohlmann beim Geistigen Eigentum von Unternehmen. Oftmals seien Unternehmen nicht bereit, ihre Daten an andere Unternehmen weiterzugeben, weil sie dies eher mit Bedrohungen wie dem Offenlegen ihres Industriegeheimnisses verbinden als mit den sich daraus ergebenden Chancen.